Unterhaltung pur mit Hanspeter Latour

Man hätte ihm noch stundenlang zuhören mögen: Hanspeter Latour. Die „Fussball-Legende“ lässt im Club-Beizli des Fussballclubs Langenthal (FCL) mit enorm viel Humor seine Karriere Revue passieren und erwähnt auch den Cup-Halbfinal 1972, als er gegen den FC Basel im YB-Tor stand und für 52 000 Zuschauer im Wankdorf vier Securitas-Leute genügten.

Gastbeitrag von Hans Mathys

Wenn der inzwischen 74-jährige Berner Oberländer Hanspeter Latour von seiner Fussball-Karriere erzählt – sie begann 1964 als Goalie des FC Thun und endete 2009 als Trainer bei Rekordmeister Grasshopper Club Zürich (GC) –, sind Top-Unterhaltung und hoher Spassfaktor garantiert. Das ist auch bei seinem Aufritt im Clubbeizli des FC Langenthal der Fall. Auf der Rankmatte angekommen, erblickt Latour (verheiratet mit Thilde, zwei erwachsene Kinder) bekannte Gesichter wie FCL-Trainer Willy Neuenschwander und FCL-Teammanager Heinz Aebi, mit denen er gleich witzelt und sich der Berner Derbys FC Langenthal – FC Thun erinnert, als er zuerst Goalie und später Trainer der Berner Oberländer war. Christian Nägeli, Präsident der gastgebenden Senatorenvereinigung des FCL, begrüsst neben Gastreferent Latour 45 Mitglieder. „Wir hatten noch nie so viele Damen an unserem traditionellen Winter-Höck“, stellt Nägeli fest und sorgt mit dieser Bemerkung für ein kollektives Schmunzeln. Toni Widmer, im FCL-Senatoren-Vorstand zuständig für Anlässe, freut sich sichtlich, dass es ihm gelungen ist, nach Alain Sutter, Andres Gerber, Christoph Spycher und weiteren Fussball-Koryphäen mit Hanspeter Latour erneut eine „Fussball-Legende“ für ein Referat in Langenthal engagiert zu haben.  

 

Erst Balljunge, dann Thun-Goalie

Zum Einstieg erzählt der gelernte Laborant Hanspeter Latour von eindrücklichen Erlebnissen aus dem Jahr 1954, als die Fussball-Weltmeisterschaft in der Schweiz stattfand, der spätere Weltmeister Deutschland (3:2-Finalsieg gegen Ungarn) im Hotel Belvédère in Spiez logierte und im eben erst eröffneten Stadion Lachen in Thun trainierte. Er sei damals 7-jährig gewesen und habe davon geträumt, eines Tages in der Nationalliga A eingesetzt zu werden. Weil man damals offiziell erst ab 12 Jahren (C-Junioren) habe spielen dürfen, sei für ihn vorerst Geduld angesagt gewesen. Um jeweils nahe am Geschehen zu sein, sei er beim FC Thun einer von sechs Balljungen gewesen und – „weil mich der Goalie-Posten fasziniert hat“ – habe er hinter dem Tor gestanden. Als 17-Jähriger sei er dann beim FC Thun als Torhüter in die 1. Mannschaft berufen worden. „In der Schweiz war ich damals der jüngste, Robert Ballaman, mit 38 Jahren der älteste Lizenzspieler.“ Solche durften etwas verdienen. Ballaman war Captain der Nationalmannschaft und erreichte 1952 sowie 1956 mit GC das Double (Schweizermeister und Cupsieger zugleich). Im Sommer 1966 habe er als Goalie des FC Le Locle ein Welschlandjahr eingeschaltet. Treibende Kraft bei diesem Transfer sei der dortige Trainer Willy Kernen gewesen, einst Verteidiger der Nationalmannschaft und 1961 Cup-Sieger mit La Chaux-de-Fonds. „Als ich dann dort war, war er schon nicht mehr Trainer“, erinnert sich der damals 19-jährige Hanspeter Latour. In Le Locle habe er in einem rudimentär ausgestatteten Zimmer logiert – mit Bett, Schrank sowie Lavabo mit fliessendem kaltem Wasser. Am Lottomatch des Vereins habe er ein Suppenhuhn gewonnen. Wie kochen ohne Küche? Hier sei sein Tauchsieder (Thermoplongeur) zum Einsatz gekommen. Das so zubereitete Fleisch habe „etwas fad“ geschmeckt. Seine Freundin – „sie ist jetzt seit 49 Jahren meine Frau“ – habe ihn an Wochenenden in Le Locle besucht. „Aber ausgerechnet samstags, wenn sie kam, ist meine Bettwäsche ausgewechselt worden.“ Latours Fazit von seiner Zeit in Le Locle: „Ich wurde zäh.“

 

Das Duell mit Karl Odermatt

Nach einer Saison in der Fremde kehrte Hanspeter Latour für vier Saisons als Goalie zum FC Thun, seinem Stammverein, zurück, ehe er von 1971 bis 1974 beim BSC Young Boys das Tor hütete. Rhetorisch grandios lässt Latour den Cup-Halbfinal YB – FC Basel vom 3. April 1972 aufleben. Für dieses Spiel habe er sich im Vorfeld schlau gemacht und die Strategie der Basler durchschaut: Karl Odermatt bricht links durch und flankt auf die andere Seite zum rechten Flügelstürmer Walter Balmer. Diesmal war es anders, denn Odermatt erwischte YB-Goalie Latour nach sechs Minuten mit einem Schuss aus 25 Metern in die nähere Ecke. Nach 37 Minuten sah Latour besser aus: Basel erhielt einen Handselfmeter zugesprochen. „Odermatts Penalty habe ich um den Pfosten gelenkt“, erinnert sich Latour, der nach 82 Minuten doch noch das 0:2 kassierte – durch einen unhaltbaren Treffer von Balmer. „Basel war wesentlich besser“, gibt der damalige YB-Goalie zu, der 1974 die Young Boys verliess und seine Trainerkarriere beim Erstligisten FC Dürrenast lancierte. Nach vier Jahren wechselte er als Trainer zum damaligen Zweitligisten FC Thun, mit dem er Ende Saison 1982/83 in die 1. Liga aufstieg. „Aufsteigen war schwer“, erinnert sich Latour, dass sich die drei starken Mannschaften des FC Langenthal, des SC Burgdorf und des FC Thun um diese Promotion bemühten. Thun habe es letztlich im Duell gegen den Ostschweizer Vertreter FC Kirchberg „mit Riesendusel“ geschafft: 0:0 auswärts, 1:1 daheim, 2:1-Sieg im Entscheidungsspiel nach Penaltyschiessen.

 

„13 Superjahre in Solothurn“

Von 1983 bis 1996 war Hanspeter Latour Trainer beim FC Solothurn (1. Liga und Nationalliga B). „Es waren 13 Superjahre“, blickt der Berner Oberländer auf diese Zeit zurück. Das Engagement sei nur für drei Monate gedacht gewesen, aber es wurden 13 Jahre daraus. „Dies war auch der Verdienst meiner Frau, die voll dahinter stand und auch die Elternabende besuchte, während ich das Training leitete.“ Latour: „Einmal war die Stelle des Trainers der U21-Nati frei geworden.“ Diese Chance, „oben einzusteigen“, habe er am Schopf packen wollen und sich beworben. Dabei sei er mit einem anderen Anwärter bis zuletzt im Rennen gewesen. „Der Verband hat sich gegen mich entschieden und begründete dies mit meiner fehlenden internationalen Erfahrung.“

 

Der „Gränni“, die Basler Läckerli

Nach 13 Jahren beim FC Solothurn wechselte Latour für die Saison 1997/98 als Assistenztrainer von Christian Gross zu GC, wo es gleich den Titel eines Schweizermeisters zu feiern gab – mit 16 Punkten Vorsprung auf den Tabellenzweiten Servette. Chrigu Gross sei danach als Trainer zu Tottenham nach England gezogen, während er, Latour, nach Trainerjobs beim FC Baden, beim FC Wil und beim FC Basel (Co-Trainer) von 2001 bis 2004 als Trainer zum FC Thun zurückgekehrt sei. Hier kam es am 3. November 2002 im Stadion Lachen zum eminent wichtigen Match Thun – Servette (1:0). In der „verrückten Schlussphase“ wälzte sich Servette-Spieler Goran Obradović nach einem Zusammenstoss mit einem Thuner Akteur am Boden. Latour rief lautstark von der Seitenlinie aus Richtung Schiedsrichter: „Das isch doch e Gränni. Das isch nid normau, Herr Meier.“ Das Schweizer Fernsehen zeigte diese Szene im Sportpanorama. Damit erlangte Motivationskünstler Latour schweizweite Berühmtheit mit Kulturcharakter. Im September 2004 trat der FC Thun daheim gegen den amtierenden Schweizermeister FC Basel an. Thun-Trainer Latour hatte sich etwas einfallen lassen: Sollte das Stadion ausverkauft sein und Thun gewinnen, werde er montags mit der Mannschaft im Berner Oberland Basler Läckerli gratis verteilen. „Wir haben den FC Basel mit 4:1 vom Platz gefegt – und 9500 Zuschauer sahen zu.“ Latour löste sein Versprechen ein und verteilte mit seinem Team 24 000 Läckerli. Eine flotte Geste des Läckerli Huus in Basel sei gewesen – wohl der Werbewirksamkeit wegen  –, dass Latour diese Läckerli nicht bezahlen musste.  „Die Mannschaft fuhr dann im Berner Oberland von Ort zu Ort und musste jeweils mit dem Stempel eines Geschäftes belegen, dass sie dort war. Schliesslich wollte ich nicht, dass alle nur in die nächste Beiz gehen.“ Der FC Thun wurde Vizemeister hinter Basel. .  

 

Zum Bundesligisten 1. FC Köln

Von Februar bis Dezember 2005 war Latour Cheftrainer bei GC. In der Winterpause der Saison 2005/06 habe er mit seiner Familie fünf Tag in Prag verbracht. Dort habe er einen Anruf von Michael Meier erhalten, dem Manager und Geschäftsführer des Bundesligisten 1. FC Köln. Sein erster Gedanke sei gewesen, so Latour, dass der von Lothar Overath präsidierte Verein einen GC-Spieler abwerben wolle. Meier hatte andere Absichten. Er wollte Latour als Trainer zum 1. FC Köln holen und schlug ein Treffen vor. Er sei jetzt mit der Familie in Prag, weshalb er nicht sofort nach Köln kommen könne, so Latour. „Nein, ich komme nach Prag“, sagte Meier. „Wir haben uns dort am Flughafen für zwei Stunden getroffen.“ Latour versprach Meier, innert dreier Tage Bescheid zu geben, ob er das Angebot annehmen werde. „Ich musste das Ganze ja auch noch mit GC regeln“, so Latour, der das Angebot annahm und dann in Köln wegen seines Heimetlis im Eriz „Bergdoktor“ genannt wurde. Er habe sofort versucht, den Spielern Freude einzuimpfen. „Ich habe ihnen vermittelt, dass es ein absolutes Glück ist, einen solchen Beruf zu haben.“ Der 1. FC Köln spielte eine gute Rückrunde, doch der Abstieg in die 2. Bundesliga liess sich nicht mehr vermeiden. „Der Verein schenkte mir trotzdem Vertrauen. So blieb ich in Köln auch in der 2. Bundesliga Trainer.“ Knackpunkt sei das Heimspiel des 1. FC Köln gegen Rot-Weiss Essen am 25. September 2006 gewesen. 39 000 Zuschauer sahen, wie das 22-jährige Talent Patrick Helmes mit einer feinen Einzelleistung in der 74. Minute das Kölner Siegestor zum 1:0 erzielte, sich jedoch sechs Minuten später auswechseln lassen musste: Ermüdungsbruch am Sprunggelenk, mehrere Monate pausieren. Insgesamt war  der Saisonstart so durchwachsen, dass Latour freigestellt wurde. Weil er „daheim gut geerdet“ war, sei er aber nie depressiv geworden. Sein Nachfolger war Christoph Daum. Die Zeit in Köln sei „interessant und toll“ gewesen, so Latour. Beeindruckt habe ihn der hohe Stellenwert des Fussballs mit täglichen Pressekonferenzen. Da sei sogar über das Maskottchen des 1. FC Köln berichtet worden, Geissbock „Hennes der Siebte“ (1990 bis 2008), wenn dieser „gmuderet“ habe und „nicht so zwäg“ gewesen sei. Latour hat auch mal mitgeholfen, einen Dieb zu stellen, der jemandem eine Tasche mit 4000 Euro drin entrissen hat. Darüber habe sogar das ZDF berichtet, und von der Polizei sei er für sein "vorbildliches Verhalten“ gelobt worden. Die Polizei habe ihm symbolisch ein paar Handschellen geschenkt.

 

Extrem parteiischer Trainer

Zum Schluss seines Referats in Langenthal schneidet Latour – er arbeitete nach seiner letzten Saison als Trainer (GC, 2007 bis 2009) bis 2014 als Fussballexperte beim Schweizer Radio und Fernsehen – sein gutes Einvernehmen mit den Schiedsrichtern an. Das habe sich auch bei einem Treffen mit Schiris und Trainern gezeigt: „Wir sind beide irgendwie im gleichen Boot, wobei die Schiedsrichter absolut unparteiisch sein müssen, aber ich als Coach bin extrem parteiisch.“ Die temperamentvolle ehemalige Identifikationsfigur des FC Thun ist beim witzig vorgetragenen Referat kaum mehr zu bremsen. So kann  Moderator Toni Widmer der fortgeschrittenen Zeit wegen nur noch wenige seiner vorbereiteten Fragen stellen. „Was macht ein guter Fussballtrainer aus?“, will er wissen. Latour zählt Fleiss, Mut und Glück auf, „aber zuletzt zählt immer der Erfolg. Daran wird man gemessen. Ob als Fussballtrainer oder Briefmarkensammler – man muss mit Leidenschaft dabei sein.“ Das Publikum spendet Latour für seinen erfrischenden Auftritt einen Riesenapplaus. Der Referent überreicht allen Anwesenden sein 2020 erschienenes Buch „Natur mit Latour“, das er auf Wunsch gleich mit „Herzlich, Hanspeter Latour“ signiert. Dem Berner Oberländer hat es neben dem Fussball halt auch die Biodiversität angetan.

„Fussball-Legende“ Hanspeter Latour hat für den FC Thun 14 Meisterschafts-Partien gegen den FC Langenthal bestritten. Vier davon als Torhüter und deren zehn als Trainer.

Als Goalie verlor Latour nie gegen Langenthal. In der Saison 1969/70 (Nationalliga B) unterlag Langenthal daheim gegen Thun 1:3 und erreichte auswärts ein 2:2 – und in der Saison 1970/71 setzte es für den FCL eine 0:2-Heimniederlage sowie eine 2:4-Auswärtspleite ab. Ausgeglichen präsentiert sich das Berner Derby Langenthal – Thun mit Hanspeter Latour als Thun-Trainer. Von zehn Punktekämpfen gewannen beide Teams je viermal, und zwei Partien endeten mit einem Unentschieden. Die Resultate aus Sicht des FC Langenthal, wobei das zuerst genannte Ergebnis auf der Rankmatte in Langenthal erzielt wurde und das zweite im Stadion Lachen in Thun. Saison 1978/79: 1:1 und 5:1, Saison 1979/80: 1:0 und 1:1, Saison 1980/81: 2:4 und 1:3, Saison 1981/82: 3:2 und 1:0, Saison 1982/83: 0:1 und 0:1. Fazit: Der FC Langenthal und der von Hanspeter Latour trainierte FC Thun weisen bei je vier Siegen und Niederlagen sowie zwei Remis eine ausgeglichene Bilanz auf, aber der FC Langenthal hat in diesen zehn Partien 15 Tore erzielt und der FC Thun „nur“ deren 14.